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Lecture notes III. (Autographirte Vorlesungshefte III.) (German) JFM 28.0189.02

In dem ersten Teile dieser Vorlesung (vgl. F. d. M. 27, 163, 1896, JFM 27.0163.02) war die Theorie der quadratischen Formen in geometrischem Gewande vom Standpunkte der Gittertheorie aus entwickelt. Ein Anhang leitete bereits zu den Anwendungen auf elliptische Modulfunctionen, dem Hauptgegenstande des zweiten Teiles, über.
Der vorliegende Teil beginnt mit den Transformationen höherer Ordnung der Gitter (oder, was auf dasselbe hinauskommt, der quadratischen Formen und der elliptischen Functionen). Durch Transformation \(n^{\text{ter}}\) Ordnung wird dem ursprünglichen ein neues Gitter eingelagert, dessen Maschen den \(n\)-fachen Flächeninhalt der ursprünglichen Gittermaschen haben, während die zugehörige Discriminante den Factor \(n^2\) aufnimmt. Umgekehrt kann jedes Gitter, dessen Discriminante einen quadratischen Teiler besitzt (,,Zweiggitter”), durch Transformation höherer Ordnung aus einem Gitter, dessen Discriminante keinen quadratischen Teiler enthält (,,Stammgitter”), abgeleitet werden.
Die verschiedenen Werte, welche die elliptischen Modulfunctionen bei allen möglichen Periodentransformationen von gegebener Ordnung \(n\) annehmen, geben zu den Transformations- und Multiplicationsgleichungen Anlass, deren Eigenschaften hier ,,nicht durch Rechnung, sondern durch functionentheoretische Ueberlegungen” gewonnen werden, und zwar nicht nur für die Modulfunctionen erster Stufe (\(j',j\) und \(M,j\)), sondern auch für die höheren Stufen (z. B. die Ikosaederirrationalität).
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Composition der Gitter; er bezweckt, die Dedekind’sche Idealtheorie zu veranschaulichen und die Kummer’schen idealen Zahlen zu ,,realisiren”.
Eine erste Aufgabe besteht darin, die \(h\) Gitter, welche durch lineare Transformationen nicht in einander überführbar sind, und den \(h\) verschiedenen Klassen quadratischer Formen von gegebener Stammdiscriminante \(d\) entsprechen, in solcher Weise zu ,,orientiren”, dass die Multiplication irgend zweier Gitterpunkte wieder auf einen Punkt der \(h\) Gitter zurückführt. Die Gitterpunkte sind dabei durch ihre ,,Minimalcoordinaten” \(\xi\), \(\eta\) gegeben gedacht, d. h. durch ihre Parallelcoordinaten in Bezug auf diejenigen beiden Richtungen (die ,,Minimalrichtungen”), in denen die zu dem Gitter gehörende und die Massbestimmung definirende quadratische Form \(ax^2+bxy+cy^2\) verschwindet: \[ \xi=\varrho\left(\sqrt{a}.x + \frac{b+\sqrt d}{2\sqrt a}.y\right),\quad \eta=\frac1{\varrho}\left(\sqrt{a}.x + \frac{b-\sqrt d}{2\sqrt a}.y\right); \] die Orientirung besteht in der geeigneten Wahl des ,,Azimutalfactors” \(\varrho\); unter der Multiplication zweier Gitterpunkte \((\xi,\eta)\) und \((\xi',\eta')\) wird dabei die Multiplication der Minimalcoordinaten \(\xi\), \(\xi'\), bez. \(\eta\), \(\eta'\) verstanden.
Mittels der Compositionstheorie der quadratischen Formen wird bewiesen, dass diese Orientirung stets und zwar noch auf \(h\) verschiedene Weisen möglich ist. Dementsprechend ergeben sich \(h\) für das Folgende unter sich gleichwertige ,,Normalfiguren” der orientirten Gitter.
Es zeigt sich nun aber weiter, dass innerhalb der Normalfigur nicht nur die Multiplications-, sondern auch die Teilbarkeitsgesetze der gewöhnlichen Zahlentheorie gelten, dass nämlich jede Gitterzahl (\(\xi\)-Coordinate eines Gitterpunktes) sich auf eine und nur auf eine Weise in Primzahlen zerlegen lässt, wenn man von der immer möglichen Abtrennung von Einheiten absieht. (Wegen der Definition der Primzahlen und Einheiten sei auf S. 175 der Vorlesungen verwiesen.) Der Beweis dieses Fundamentalsatzes geht den betreffenden Entwickelungen Dedekind’s vollständig parallel, wobei aber die abstracten Begriffe Dedekind’s überall eine geometrische Unterlage erhalten.
Um die Beziehungen zu den Theorien von Kummer und Dedekind deutlicher zu machen, diene Folgendes: Unter den \(h\) Gittern der Normalfigur ist eines, das ,,Hauptgitter”, ausgezeichnet. Seine Gitterzahlen (,,Hauptzahlen” genannt) \[ \xi = x+y.\frac{\sqrt d}2,\quad\text{bez. }\xi = x+y.\frac{1+\sqrt d}2 \] (je nachdem \(d\equiv0\) oder \(\equiv1\) (mod. 4) ist) sind die ganzen algebraischen Zahlen des Körpers \(\sqrt d\), das ausschliessliche Object der Dedekind’schen Argumentationen. Die Zahlen der Nebengitter (,,Nebenzahlen”), welche nicht in dem Körper \(\sqrt d\), sondern in einem höheren (durch Adjunction von \(\varrho\sqrt a\) entstehenden) Körper liegen, sind die idealen Zahlen Kummer’s. Diese werden hier also in ganz bestimmter Weise arithmetisch und, wenn man will, auch geometrisch realisirt. Jede Zahl eines Nebengitters kann man durch Multiplication mit einer Zahl des conjugirten Gitters (in dem das Vorzeichen von \(\sqrt d\) geändert ist) in das Hauptgitter verlegen. Führt man die Multiplication mit allen Zahlen des conjugirten Gitters aus, so bekommt man ein dem Hauptgitter eingelagertes ,,Bildgitter” des ursprünglichen Nebengitterpunktes. Dieses Bildgitter ist identisch mit dem Dedekind’schen Ideal; es stellt die Gesamtheit der Hauptzahlen dar, welche durch die betrachtete Nebenzahl teilbar sind.
Dabei erweist sich noch folgende Verallgemeinerung des Idealbegriffes als nützlich: Statt im Hauptgitter kann man für eine beliebige Nebenzahl ein Bildgitter auch in einem vorgegebenen Nebengitter construiren. Die so entstehenden Bildgitter werden ,,Nebengitterideale” genannt. Mit ihrer Hülfe kann man die ganze Dedekind’sche Theorie aus dem Hauptgitter in ein vorgegebenes Nebengitter verlegen, was bei der complexen Multiplication unter Umständen bequem ist.
Den Schluss und den eigentlichen Zielpunkt der Vorlesung bildet die Theorie der singulären elliptischen Moduln, die man auch mit dem etwas speciell gewählten und nur historisch zu verstehenden Namen der complexen Multiplication belegt. Der Fundamentalsatz der Theorie lässt sich vom Standpunkte der Gitter aus in dem einfachsten Falle, wo der Transformationsgrad eine Primzahl \(p\) ist, die sich im Gebiete der Gitterzahlen in zwei verschiedene Primfactoren \(\pi\) und \(\bar\pi\) spaltet, folgendermassen fassen: Unter den durch Transformation \(p^{\text{ter}}\) Ordnung aus einem beliebigen Gitter der Normalfigur entstehenden \(p+1\) grossmaschigen Gittern giebt es zwei und nur zwei, welche mit zweien der Gitter der Normalfigur ähnlich sind und aus diesen durch Multiplication mit den Gitterzahlen \(\pi\) und \(\bar\pi\) hervorgehen. Die Schlüsse, die hieraus bezüglich der Transformationsgleichung \(F(j',j)=0\) sowie der Klassengleichung \(\chi(j)=0\) folgen, sind bekannt; sie besagen u. a., dass unter den durch Transformation \(p^{\text{ter}}\) Ordnung entstehenden Moduln \(j'\) zwei und nur zwei vorkommen, welche in der Reihe der \(h\) singulären Moduln \(j\) [d. h. der zu einem (natürlich ganzzahlig und negativ) vorgeschriebenen Werte der Discriminante \((\omega_1\bar\omega_2 - \bar\omega_2\omega_1)^2\) gehörigen Werte der Function \(j(\omega)\)] enthalten sind.
Die hieran anschliessenden neuen Entwickelungen der Vorlesungen (S. 315-354) bezwecken, das Studium der Transformations- und Klassengleichungen von der ersten auf die höhere Stufen, insbesondere die fünfte, zu übertragen, wobei die Ikosaederirrationalität \(\zeta\) an die Stelle der rationalen Invariante \(j\) tritt. Die betreffenden Untersuchungen sind nicht vollständig durchgeführt, wohl aber konnte ein allgemeiner Plan der Untersuchung vorgezeichnet werden, dessen Durchführung keine grosse Schwierigkeit machen kann.
Jedenfalls dürften die übersichtlichen und keineswegs schwierigen Darlegungen der Vorlesung geeignet sein, den Ausspruch C. Jordan’s, der die Kronecker’schen Arbeiten über complexe Multiplication ,,I’envie et le désespoir des géomètres” nannte, zu antiquiren und ihr Studium auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen.

MSC:

11E45 Analytic theory (Epstein zeta functions; relations with automorphic forms and functions)

Citations:

JFM 27.0163.02
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References:

[1] Vergl. Schering. Die Fundamentalclassen der zusammensetzbaren arithmetischen Formen. Göttinger Abhandlungen Bd. 14.
[2] Meine erste Mittheilung hierüber findet sich in den Göttinger Nachrichten vom Febr. 1893; vergl. auch den Vortrag IX in meinem ?Evanston Colloquium?. Die Poincaré’schen Entwickelungen, auf welche ich am letztgenannten Ort verweise, operiren zwar auch mit dem Hauptgitter aber nicht mit der vollständigen die Nebengitter umfassenden Normalfigur.
[3] Statt ?Ordnung? gebraucht Hr. Hilbert neuerdings das Wort ?Ring?
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