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Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen. Fünfte Mitteilung. (German) JFM 37.0351.04

In der Einleitung zu seiner ersten Mitteilung (”F. d. M. 35, 378, 1904, sieheJFM 35.0378.02 u. JFM 35.0378.03”) hatte Hilbert die Veröffentlichung einer neuen Methode zur Behandlung der linearen Integralgleichungen in Aussicht gestellt, die auf einer Theorie der Formen von unendlich vielen Variabeln beruht. Jetzt gibt er in der vierten Mitteilung eine ausührliche Darstellung der angekündigten Theorie und zeigt in der fünften, wie man auf dieser Grundlage die früher abgeleiteten Sätze über die Lösung von Integralgleichungen erster und zweiter Art und über die damit zusammenhängenden Entwicklungen willkürlicher Funktionen in unendliche Reihen nach Fourierscher Art nicht nur sehr einfach beweisen, sondern auch in wesentlichen Punkten verallgemeinern kann. Aber die neue Methode leistet noch mehr; denn es gelingt mit ihrer Hülfe, jene Sätze auf gewisse neue Integralgleichungen “dritter Art” zu übertragen. Weitere Anwendungen werden auf spätere Mitteilungen verschoben.
Damit Hilberts Theorie der “Formen von unendlich vielen Variabeln” verständlich wird, müssen zunächst einige Bezeichnungen erklärt werden. Sind \(l_1,l_2,\dots\) beliebig gegebene reelle Konstanten, so heißt die über alle ganzen Zahlen \(p\) erstreckte Summe \[ L(x)=\sum_{(p)}l_px_p \] eine “lineare Form” der unendlich vielen Variabeln \(x_1,x_2,\dots\) oder kurz der Variabeln \((x)\). Läßt man aber den Index \(p\) nur die Werte \(1,2,\dots ,n\) durchlaufen, so erhält man den “Abschnitt” \(L_n (x)\) der linearen Form \(L(x)\). Sind ferner \[ k_{pq}=k_{qp}\quad (p,q=1,2,\dots ) \] beliebig gegebene Konstanten, so heißt die über alle Wertsysteme \(p,q\) ausgedehnte Summe \[ K(x)=\sum_{(p,q)}k_{pq}x_px_q \] eine “quadratische Form” der unendlich vielen Variabeln \((x)\); ihr ist die “bilineare Form” der Variabeln \((x)\) und \((y)\): \[ K(x,y)=\sum_{(p,q)}k_{pq}x_py_q \] zugeordnet. Zur Abkürzung möge noch \[ \sum_{(p)}x_p^2=(x,x),\quad \sum_{(p)}x_py_p=(x,y) \] gesetzt werden. Läßt man in \(K(x)\) und \(K(x,y)\) die Indizes \(p,q\) nur die Werte \(1,2,\dots ,n\) durchlaufen, so erhält man die “Abschnitte” \(K_n(x)\) und \(K_n(x,y)\) von \(K(x)\) und \(K(x,y)\).
Als Zielpunkt der Untersuchungen, mit denen sich Hilbert beschäftigt hat, läßt sich jetzt die Frage bezeichnen, ob und wie sich die bekannten Sätze aus der Theorie der linearen, quadratischen und bilinearen Formen von endlich vielen Variabeln auf Formen mit unendlich vielen Variabeln übertragen lassen.
Um an diese bekannten Sätze zu erinnern, so ist die Diskriminante der Form \[ (x,x)_n-\lambda K_n(x) \] eine ganze rationale Funktion \(n\)-ten Grades in \(\lambda\) mit lauter reellen Nullstellen \(\lambda_1^{(n)},\lambda_2^{(n)},\dots ,\lambda_n^{(n)}\), den “Eigenwerten” der Form \(K_n(x)\); die Gesamtheit dieser Eigenwerte nennt Hilbert das “Spektrum” der Form \(K_n(x)\). Aus der Diskriminante \(D_n(\lambda )\) erhält man durch Ränderung eine bilineare Form \(D_n(\lambda ;x,y)\), die, durch \(-D_n(\lambda )\) dividiert, die “Resolvente” \(K_n(\lambda ;x,y)\) liefert. Dieser kommen zwei wichtige Eigenschaften zu. Erstens geben die Koeffizienten von \(x_1,x_2,\dots ,x_n\) in \(K_n(\lambda ;x,y)\), vorausgesetzt, daß \(\lambda\) kein Eigenwert ist, die “Lösung der linearen Gleichungen”: \[ (1)\quad x_p-\lambda\sum_{q=1}^nk_{pq}x_p=y_p\quad (p=1,2,\dots ,n), \] was sich in leicht verständlicher Weise durch die Identität \[ (2)\quad K_n(\lambda ;x,y)-\lambda K_n(x,.)K_n(\lambda ;.,y)=(x,y)_n \] ausdrücken läßt. Zweitens gestattet die Resolvente die “Partialbruchzerlegung”: \[ (3)\quad K_n(\lambda ;x,y)=\sum_{p=1}^n\frac {L_p^{(n)}(x)\,L_p^{(n)}(y)}{1-\frac {\lambda}{\lambda_p^{(n)}}}, \] in der die \(L_p^{(n)}\) gewisse lineare Formen der Variabeln mit reellen Koeffizienten bezeichnen, die in engem Zusammenhange mit der “orthogonalen Transformation” der Form \(K_n(x)\) stehen. Es gelten nämlich die Gleichungen: \[ (4)\quad \sum_{p=1}^n\left( L_p^{(n)}(x)\right)^2=(x,x)_n,\quad \sum_{p=1}^nL_p^{(n)}(x).L_p^{(n)}(y)=(x,y)_n; \]
\[ (5) \quad \sum_{p=1}^n\frac {\left( L_p^{(n)}(x)\right)^2}{\lambda_p^{(n)}}=K_n(x),\quad \sum_{p=1}^n\frac {L_p^{(n)}(x).L_p^{(n)}(y)}{\lambda_p^{(n)}}=K_n(x,y). \] Unter der wesentlichen Voraussetzung, daß sämtliche Eigenwerte aller Abschnitte von \(K(x)\) in einem endlichen Intervall \(J\) liegen, werden jetzt durch einen eigenartigen Grenzprozeß aus den Eigenwerten der Formen \(K_n(x)\) die “Eigenwerte \(\lambda_1,\lambda_2,\dots\) der Form \(K(x)\)” selbst gewonnen; ihre Gesamtheit bildet das “Punktspektrum” vom \(K(x)\). Zu jedem Eigenwerte \(\lambda_p\) gehört, entsprechend den Funktionen \(\left( L_p^{(n)}(x)\right)^2\), eine quadratische “Eigenform” \(E_p(x)\), deren Abschnitte für keinen Wert der Variabeln \((x)\) negativ werden.
Ein fundamentaler Unterschied zwischen der Theorie der quadratischen Formen von endlich vielen Variabeln und der Theorie solcher Formen von unendlich vielen Variabeln besteht darin, daß die Übertragung der vorher angeführten Sätze nicht gelingt, wenn man statt der Eigenwerte der Formen \(K_n(x)\) die Eigenwerte der Form \(K(x)\) nimmt, daß es vielmehr notwendig ist, noch eine perfekte Menge \(s\) von Punkten \(\lambda\) hinzuzunehmen, die das “Streckenspektrum” \(s\) von \(K(x)\) bilden. Dieses Streckenspektrum steht in inniger Beziehung zu der “Spektralform”: \[ \sigma (\lambda )=\sum_{(p,q)}\sigma_{pq}(\lambda )x_px_q, \] die ihrerseits aus den Eigenformen \(E_p\) gewonnen wird. Die Abschnitte dieser Form sind nämlich bei wachsendem Argument \(\lambda\) innerhalb des Streckenspektrums \(s\) nicht abnehmende, nicht sämtlich konstante Funktionen von \(\lambda\), die in jedem außerhalb \(s\) gelegenen Intervall sämtlich konstante Werte haben.
Nimmt man zu dem Punktspektrum und dem Streckenspektrum noch die “Verdichtungswerte” von \(\lambda\) hinzu, z. h. die Werte von \(\lambda\), die so beschaffen sind, daß in ihnen oder in beliebiger Nähe von ihnen für unendlich viele Werte des Index \(n\) noch Eigenwerte \(\lambda_p^{(n)}\) liegen, so erhält man das “Spektrum” der Form \(K(x)\); wenn, wie vorausgesetzt wurde, alle Eigenwerte \(\lambda_p^{(n)}\) in einem endlichen Intervall \(J\) liegen, so ist die Stelle \(\lambda =\infty\) keine Verdichtungsstelle, und umgekehrt.
Nach dieser Vorbereitung ergibt sich, immer unter der Voraussetzung, daß \(\lambda =\infty\) keine Verdichtungsstelle ist, als “Resolvente der Form \(K(x)\)” eine eindeutig bestimmte quadratische Form der unendlich vielen Variabeln \((x)\): \[ K(\lambda ,x)=\sum_{(p,q)}K_{pq}(\lambda )x_px_q, \] deren Koeffizienten für alle außerhalb des Spektrums von \(K(x)\) gelegenen Argumente \(\lambda\) regulär analytische Funktionen dieses Argumentes sind. Ist \(m_1,m_2,\dots\) eine gewisse Reihe ins Unendliche zunehmender ganzer Zahlen, so gilt für jeden Abschnitt der Resolvente die Gleichung: \[ \lim_{h=\infty}K_{m_h}(\lambda ,x)=K(\lambda ,x), \] wo \(K_{m_h}(\lambda ,x)\) die Resolvente der Form \(K_{m_h}(x)\) bedeutet. Die Resolvente \(K_n(\lambda ,x)\) gestattet die Darstellung: \[ (3')\quad K(\lambda ,x)=\sum_{(p)}\frac {E_p(x)}{1-\frac {\lambda}{\lambda_p}}+\int_{(s)}\frac {d\sigma (\mu )}{1-\frac {\lambda}{\mu}}; \] hierin ist die Summe über das Punktspektrum und das Integral über das Streckenspektrum von \(K(x)\) zu erstrecken. Endlich gilt die Gleichung: \[ (4')\quad (x,x)=\sum_{(p)}E_p(x)+\int_{(s)}d\sigma (\lambda ), \] in der das Summen- und das Integralzeichen dieselbe Bedeutung haben wie in der Gleichung (3’).
So bemerkenswert diese Ergebnisse auch sind, so wird man sich doch nicht mit ihnen zufrieden geben; denn es fehlt noch die Übertragung der Sätze über die orthogonale Transformation auf quadratische Formen mit unendlich vielen Variabeln. Diese Übertragung gelingt jedoch nur, wenn man den Bereich der betrachteten Formen verengt, und dazu dient der Begriff der “beschränkten Formen” von unendlich vielen Variabeln. Eine solche Form heißt beschränkt, wenn ihre sämtlichen Abschnitte, absolut genommen, unterhalb einer von der Wahl des Abschnittes unabhängigen Grenze liegen, sobald man die Variabeln den Bedingungen \[ (x,x)\leq 1,\quad (y,y)\leq 1 \] unterwirft.
Eine lineare Form \(L(x)\) ist dann und nur dann beschränkt, wenn die Summe der Quadrate ihrer Koeffizienten konvergiert. Sie hat für alle erlaubten Werte der Variabeln \((x)\) endliche Werte und ist daher eine “Funktion” dieser Variabeln. Sie hat ferner die Eigenschaft, daß \(L(a+\varepsilon )\) gegen \(L(a)\) konvergiert, wenn \(\sum_{(p)}\varepsilon_p^2\) gegen Null geht, und heißt in diesem Sinne “beschränkt stetig”. Endlich konvergiert sogar \(L(a+\varepsilon )\) gegen \(L(a)\), wenn die Größen \(\varepsilon_p\) jede für sich irgendwie gegen Null gehen, und in diesem Sinne heißt \(L(x)\) “vollstetig”, oder, wie Hilbert in der fünften Mitteilung sich ausdrückt, schlechtweg “stetig”.
Eine beschränke Bilinearform \(K(x,y)\) ist immer eine beschränkt stetige Funktion der Variabeln \((x)\) und \((y)\), und dasselbe gilt auch in bezug auf die Variabeln \((x)\) für eine beschränke quadratische Form \(K(x)\). Die Annahme, daß \(K(x)\) eine beschränke Form sei, erweist sich als völlig äquivalent mit der Voraussetzung, daß der Wert \(\lambda =0\) nicht zum Spektrum gehöre; wohl aber dürfen bei einer solchen Form die absoluten Beträge der Eigenwerte über alle Grenzen wachsen, so daß der Wert \(\lambda =\infty\) zum Spektrum gehört. Da jedoch bei hinreichend kleinen Werten der Konstanten \(\alpha\) die Form \[ K^*(x)=(x,x)-\alpha K(x), \] die ebenfalls beschränkt ist, die Stelle \(\lambda =\infty\) nicht zum Versichtungswert hat, so lassen sich die vorher abgeleiteten Sätze auf die Form \(K^*(x)\) anwenden, und man gelangt jetzt zu den folgenden, für beliebige beschränkte quadratische Formen \(K(x)\) gültigen Ergebnissen.
Die Resolvente \(K(\lambda ,x)\) einer solchen Form ist, wenn \(\lambda\) einen außerhalb des Spektrums gelegenen Wert von \(\lambda\) bedeutet, auch eine beschränkte quadratische Form. Sie gestattet die Darstellung: \[ (3'')\quad K(\lambda ,x)=\sum_{(p,\infty )}\frac {E_p(x)}{1-\frac {\lambda }{\lambda_p}} +\int_{(s)}\frac {d\sigma (\mu )}{1-\frac {\lambda }{\mu }}; \] dabei ist die Summe über das Punktspektrum zu erstrecken, dem jetzt auch der Wert \(\lambda =\infty\) angehören darf, und das Integral bezieht sich wieder auf das Streckenspektrum. Die Eigenformen \(E_p(x)\) sind beschränkte Formen, die für kein erlaubtes Wertsystem negativ ausfallen. Die Spektralform \(\sigma (\lambda )\) ist ebenfalls eine beschränkte quadratische Form der Variablen \((x)\), die als Funktion von \(\lambda\) stetig ist und bei wachsendem Argumente \(\lambda\) innerhalb des Streckenspektrums \(s\), von besonderen Wertsystem \((x)\) abgesehen, wächst, in jedem außerhalb gelegenen Intervall aber konstant bleibt.
Ferner gelten die Gleichungen: \[ (4'')\quad (x,x)=\sum_{(p,\infty )}E_p(x)+int_{(s)}d\sigma (\lambda ), \]
\[ (5'')\quad K(x)=\sum_{(p,\infty )}\frac {E_p(x)}{\lambda_p}+\int_{(s)}\frac {d\sigma (\mu )}{\mu }, \] und für alle außerhalb des Spektrums liegenden Werte von \(\lambda\) besteht die Identität: \[ (2'')\quad K(\lambda ; x,y)-\lambda K(x,.)K(\lambda ;.,y)=(x,y). \] Setzt man also die zu \(K(\lambda ;x)\) gehörige Bilinearform \[ K(\lambda ; x,y)=\sum_{(p)}\alpha_px_p, \] wo die Koeffizienten \(\alpha_p\) der Variabeln \(x_p\) gewisse lineare Formen der \(y_p\) bedeuten, so ist identisch \[ \alpha_p+\lambda\sum_{(q)}k_{pq}\alpha_q=y_p, \] die Koeffizienten \(\alpha_p\) lösen daher die aus der quadratischen Form \((x,x)-\lambda K(x)\) entspringenden nichthomogenen Gleichungen \[ (1'')\quad x_p-\lambda\sum k_{pq}x_q=y_p, \] in denen \(\lambda\) außerhalb des Spektrums liegt, vorausgesetzt, daß die \(y_p\) irgendwelche Größen mit konvergenter Quadratsumme sind; die \(y_p\) sind sogar die einzigen Lösungen mit konvergenter Quadratsumme.
Nunmehr gelangt man auch zur Verallgemeinerun der Sätze über die “orthogonale Transformation”. Bedeuten \[ o_{pq}\quad (p,q=1,2,\dots ) \] irgendwelche Konstanten, die den Relationen genügen: \[ \sum_{(q)}o_{pq}^2=1, \quad \sum_{(p)}o_{qp}^2=1, \]
\[ \sum_{(r)}o_{pr}o_{qr}=0, \quad \sum_{(r)}o_{rp}o_{rq}=0 \quad\,\,\,\, (p\not= q), \] so definieren die Formeln \[ x_p=\sum_{(q)}o_{pq}x_q',\quad x_q'=\sum_{(p)}o_{pq}x_p \] je eine orthogonale Transformation und stehen zueinander in der Beziehung der Umkehrung. Die Ausdrücke auf den rechten Seiten sind beschränkte Linearformen der unendlich vielen Variabeln \((x)\) und \((x')\); sie bilden je ein System orthogonaler Linearformen oder kurz ein orthogonales System.
Eine beschränkte quadratische Form, deren Punktspektrum nur aus dem Punkte 1 besteht, und die kein Streckenspektrum besitzt, heißt eine “Einzelform” \(E(x)\); sie ist gleich der zu dem Eigenweerte 1 gehörigen Eigenform. Hieraus läßt sich erschließen, daß jede Einzelform als Summe von Quadraten der Linearformen eines orthogonalen Systems darstellbar ist, und daß umgekehrt die Summe der Quadrate der Linearformen eines orthogonalen Systems stets eine Einzelform darstellt. Nun sind aber die Eigenformen \(E_p(x)\) und \(E_{\infty}(x)\) (falls es eine solche Form gibt) Einzelformen, und hieraus folgt, daß sich bei einer beschränkten quadratischen Form \(K(x)\) die Resolvente stets in der Form darstellen läßt: \[ K(\lambda ,x)=\sum_{(p)}\frac {x_p^{'2}}{1-\frac {\lambda}{\lambda_p}}+\int_{(s)}\frac {d\sigma (\mu ,\xi )}{1-\frac {\lambda }{\mu }}; \] hierin bedeutet \(\sigma (\mu ,\xi )\) die transformierte Spektralform, und die linearen Formen \((x')\) und \((\xi )\) definieren zusammengenommen eine orthogonale Transformation der ursprünglichen Variabeln \((x)\). Die Spektralform \(\sigma (\mu ,\xi )\) ist charakterisiert durch die Relationen: \[ \int_{(s)}(u(\mu ))^2d\sigma (\mu ,\xi )=\int_{(s)}u(\mu )d\sigma (\mu ; \xi ,.)\int_{(s)}u(\mu )d\sigma (\mu ;\xi ,.), \]
\[ (\xi ,\xi )=\int_{(s)}d\sigma (\mu ,\xi ), \] die identisch für alle stetigen Funktionen \(u(\mu )\) erfüllt sind.
Auf Grund der Darstellung von \(K(\lambda ;x,y)\) wird endlich: \[ K(x)=\sum_{(p)}\frac {x_p^{'2}}{\lambda_p}+\int_{(s)}\frac {d\sigma (\mu ,\xi )}{\mu}, \] das heißt, jede beschränkte quadratische Form \(K(x)\) läßt sich stets auf eine und nur auf eine Weise durch eine orthogonale Substitution als die Summe einer quadratischen Form \[ \sum_{(p)} k_px_p^{'2} \] und eines Integrals über das Streckenspektrum darstellen. Das Integral fällt weg, wenn die Form kein Streckenspektrum besitzt und das tritt sicher ein, wenn die Form \(K(x)\) “vollstetig” ist. Das Gegenstück dazu bilden die beschränkten quadratischen Formen, die kein Punktspektrum besitzten; ein einfaches Beispiel einer solchen Form ist die Form \[ x_1x_2+x_2x_3+x_3x_4+\dotsm \] In dem Schlußabschnitt der vierten Mitteilung werden die Methoden und Resultate, die bei den quadratischen Formen \(K(x)\) entwickelt worden waren, auf simultane quadratische Formen, Hermitesche Formen, schiefsymmetrische Formen und Bilinearformen ausgedehnt. Hierüber genauer zu berichten ist jedoch an dieser Stelle nicht möglich, und es soll daher zu den Anwendungen auf die Theorie der Integralgleichungen übergegangen werden, die den Gegenstand der fünften Mitteilung bildet; auch dabei können jedoch nur die Hauptpunkte angedeutet werden.
Das Bindeglied zwischen der Theorie der Formen von unendlich vielen Variabeln und der Theorie der Integralgleichugen zweiter Art bilden gewisse Systeme von unendlich vielen stetigen Funktionen einer reellen Variable \(s\), die Hilbert als “orthogonale vollständige Systeme” für das Intervall \(s=(a\dots b)\) bezeichnet. Diese Funktionen \(\varPhi_1(s),\varPhi_2(s),\dots\) müssen erstens die “Orthogonalitätseigenschaft” besitzen, die durch die Gleichungen: \[ \int_a^b(\varPhi_p(s))^2ds=1,\quad\int_a^b\varPhi_p(s)\varPhi_q(s)=0\quad (p\not= q) \] ausgedrückt wird, und zweitens muß die “Vollständigkeitsrelation” erfüllt sein, die aussagt, daß für jedes Paar stetiger Funktionen \(u(s)\) und \(v(s)\) die Gleichung besteht: \[ \int_a^bu(s)v(s)ds=\sum_{(p)}\int_a^bu(s)\varPhi_p(s)ds\,\,.\,\,\int_a^b v(s)\varPhi_p(s)ds. \] Die Integrale \[ \int_a^bu(s)\varPhi_p(s)ds \] heißen die “Fourier koeffizienten” der Funktion \(u(s)\) in bezug auf das System der Funktionen \(\varPhi_p(s)\).
Nachdem ein Verfahren angegeben worden ist, wie man für ein gegebenes Intervall \((a\dots b)\) ein solches System aufstellen kann, werden die Sätze von Fredholm über die Lösung der Integralgleichung zweiter Art: \[ f(s)=\varphi (s)+\int_a^bK(s,t)\varphi (t)dt \] mit unsymmetrischem Kern \(K(s,t)\) auf Grund der Theorie der linearen Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten hergeleitet.
Derselbe Grundgedanke ermöglicht auch die Neubegründung und Erweiterung der in der ersten Mitteilung dargelegten Theorie der “Integralgleichung zweiter Art” mit symmetrischem Kern: \[ f(s)=\varphi (s)-\lambda\int_a^bK(s,t)\varphi (t)dt. \] Es gelingt nämlich jetzt, die Sätze über die Entwicklung willkürlicher Funktionen nach Eigenfunktionen des Kerns ohne die Einschränkungen zu beweisen, die Hilbert damals noch hatte machen müssen, und deren Beseitigung erst E. Schmidt gelungen war (F. d. M. 36, 461, 1905, JFM 36.0461.03). Diese Eigenfunktionen bilden ein vollständiges orthogonales System, und aus diesem Grunde nennt Hilbert die betrachteten Integralgleichungen auch “orthogonale Integralgleichungen”.
Eine Funktionalgleichung der Form \[ f(s)=V(s)\varphi (s)-\lambda\int_a^bK(s,t)\varphi (t)dt \] nennt Hilbert eine “Integralgleichung dritter Art”. Er untersucht im besonderen den Fall, daß \(K(s,t)\) eine symmetrische Funktion von \(s\) und \(t\) mit der Eigenschaft eines positiven definiten Kerns ist, und daß die Funktion \(V(s)\) streckenweise die konstanten Werte +1 und -1 hat und überhaupt keine anderen Werte als +1 und -1 annimmt, und zwar so, daß \(V(s)\) in dem Intervall \((a\dots b)\) wenigstens an einer Stelle, höchstens aber an einer endlichen Anzahl von Stellen das Vorzeichen ändert. Die so erklärte Integralgleichung nennt er eine “polare Integralgleichung”. Es gelingt ihm nämlich, mit Hülfe seiner Sätze über die quadratischen Formen \(K(x)\) für diese Gleichung eine ganz ähnliche Theorie zu entwickeln wie für die orthogonale Integralgleichung, wobei als Bindeglied irgendein System von Funktionen \(\varPi_1(s),\varPi_2(s)\) dient, die in \((a\dots b)\) abteilungsweise stetig mit einer endlichen Anzahl von Sprungstellen sind und erstens die “Polaritätseigenschaft” besitzen, die durch die Gleichungen: \[ \int_a^bV(s)(\varPi_p(s))^2ds=(-1)^{p-1},\quad \int_a^bV(s)\varPi_p(s)\varPi_q(s)ds=0\quad (p\not= q) \] erklärt wird, und die zweitens der “Vollständigkeitsrelation” genügen. Die Integrale \[ (-1)^{p-1}\int_a^bV(s)u(s)\varPi_p(s)ds \] heißen die Fourierkoeffizienten der Funktion \(u(s)\) in bezug auf das “polare vollständige System” der Funktionen \(\varPi_p(s)\).
Zu einer solchen polaren Integralgleichung gehören wieder Eigenwerte und Eigenfunktionen, für die die entsprechenden Sätze gelten, wie bei der orthogonalen Integralgleichung.
Den Schluß der fünften Mitteilung bilden Bemerkungen über die Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichung auf gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen und Systeme von Differentialgleichungen. Im besonderen wird gezeigt, wie man auf diesem Wege zu einer wesentlichen Ausdehnung der Sturm-Liouvilleschen Sätze über gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung geführt wird.

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