Schröder, Ernst Vorlesungen über die Algebra der Logik. III. Band. Algebra und Logik der Relative. Erste Abteilung. (German) JFM 26.0074.01 Leipzig. B. G. Teubner. VIII + 649 S. 8\(^\circ\) (1895). Ueber den ersten Band dieses Werkes (siehe JFM 26.0074.01) ist im Jahrgang 1890 der F. d. M. (siehe JFM 22.0073.02) berichtet worden, und es kann hinsichtlich des Planes, der Bedeutung und des allgemeinen Charakters des Werkes auf dieses Referat verwiesen werden. Des zweiten Bandes erste Abteilung, den Aussagecalcül enthaltend, erschien 1891; die zweite Abteilung, welche bald folgen sollte, fehlt noch, da der Verfasser beim Fortschreiten der Arbeit es für zweckmässiger erachtet hat, einen Teil des für den Schluss des zweiten Bandes in Aussicht genommenen Stoffes unter oben genanntem Specialtitel in einem besonderen (dritten) Bande zu behandeln und zunächst diesen Band zu veröffentlichen. Schon der Umfang, den die erste Hälfte dieses Bandes erreicht hat, erklärt die Abänderung des ursprünglichen Planes. Und das Erscheinen des dritten Bandes vor der Vollendung des zweiten rechtfertigt sich durch den Umstand, dass die an Peirce’s Behandlung desselben Gegenstandes sich anschliessende Darstellung von dem Inhalte der beiden ersten Bände, insbesondere des noch fehlenden Schlussteils, unabhängig und für sich verständlich ist. Die Logik der Relative geht ebenso, wie der früher behandelte “identische Calcül”, von einem aus irgend welchen Elementen bestehenden “Denkbereich” aus, betrachtet aber — und hierin besteht der Fortschritt — die “Beziehungen zweier”, in bestimmter Reihenfolge hervorgehobenen “Elemente” eines “Elementenpaares” \((i:j)\). Unter einem “binären Relative” wird der Inbegriff irgend welcher Elementenpaare aus dem abgeleiteten Denkbereich verstanden, welcher die Variationen zur zweiten Klasse mit Wiederholung aus den einfachen Elementen des ursprünglichen Denkbereichs umfasst. Die Logik der Relative kann als Erweiterung und Fortsetzung des identischen Calcüls entwickelt werden, oder, da sie jenen mit umfasst, auf selbständiger Grundlage. Sie kann ferner einerseits formal rechnerisch als “Algebra der Beziehungen” fundamentirt und aufgebaut werden, andrerseits mit logischem Inhalt erfüllt, reflectirend als “Logik der Beziehungen”. Zunächst wird hier der erstere Weg verfolgt. Bezüglich der ganzen in Deutschland noch wenig bekannten Wissenschaft hat sich der Verfasser die Aufgabe gestellt, die Specialleistungen der ziemlich umfangreichen, zerstreuten und vermöge der Verschiedenheit der Bezeichnungsweisen schwer zu verfolgenden Litteratur zu verarbeiten, zu vervollständigen und zu einer nach allen Richtungen hin gleichmässig entwickelten Disciplin “aufzurunden”. Es kommen dabei vor allem die Leistungen von de Morgan, Charles S. Peirce und R. Dedekind in Betracht. Die Algebra der Relative benutzt, neben den drei Operationen des identischen Calcüls, nämlich identische Addition und Multiplication, sowie Negation, noch drei “relative” Elementar-Operationen, nämlich relative Multiplication und Addition, sowie Conversion. Da sich die Additionen auf die Multiplicationen zurückführen lassen, so bleiben schliesslich vier unentbehrliche Grundoperationen übrig. Zwei derselben, nämlich Negation und Conversion, lassen sich zur Vervielfältigung einfacher Sätze benutzen, indem die Negation einen zweiten Satz hinzufügt, und die Conversion, auf beide angewandt, wieder zwei neue, den ersten conjugirte Sätze liefert, so dass die Sätze über binäre Relative in der Regel in Quadrupeln auftreten. — Wählt man als anschauliches Beispiel zur Verdeutlichung der logischen Operationen zwei aus einer ebenen discontinuirlichen Punktmenge durch geschlossene Linien abgegrenzte Figuren \(a\) und \(b\), deren Peripherien einander schneiden mögen, so ist die “identische” Summe \(a+b\) der Inbegriff aller entweder in \(a\) oder in \(b\) enthaltenen Punkte, das identische Product \(ab\) der Inbegriff der beiden Figuren gleichzeitig angehörigen Punkte, während das Resultat der Negation von \(a\) (bezeichnet durch \(\bar a\)) die Aussenfigur von \(a\) darstellt. — Wählt man ferner für die “relativen” Operationen das Beispiel: \(a =\) Lehrer von ...; \(b =\) Sohn von ..., so bedeutet das relative Product \(a;b\) (gelesen: \(a\) von \(b\)): Lehrer eines Sohnes von ..., und die relative Summe \(a_{+}b\) (gelesen: \(a\) piu \(b\)): Lehrer von allen, ausser Söhnen von ... . Das Converse von \(a\) (\(\check a\), gelesen \(a\) convers) ist “Schüler von ...” — Ein anderes Beispiel liefert das der Zahlenlehre entnommene Relativ: Divisor von ... Besetzt man in einem rechteckigen Liniengitter, von einer Ecke ausgehend, die verticalen Linien der Reihe nach mit den Zahlen \(a=1, 2, 3, \dots\), die horizontalen mit den Zahlen \(b=1, 2, 3, \dots\), und setzt an jeden Schnittpunkt zweier Linien \(a\) und \(b\) eine Eins, sobald für diese Zahlen der Satz gilt: \(a\) ist Divisor von \(b\), an alle anderen Schnittpunkte eine Null, so erhält man die “Matrix” des Relatives \(a\) in Gestalt einer nur aus den Werten 0 und 1 gebildeten Determinante. Auf der Grundlage der sechs Elementar-Operationen baut sich nun eine Algebra auf, die in ihren Hauptzügen der gewöhnlichen Algebra parallel läuft, im einzelnen aber natürlich sehr grosse Unterschiede hervortreten lässt. Ein Relativ \(x\) kann durch verschiedenartige, von ihm zu erfüllende Forderungen, welche durch Gleichungen oder durch Subsumtionen ausgedrückt erscheinen, in verschiedener Weise charakterisirt werden, z.B. als Element eines Denkbereichs, als “System” im Dedekind’schen Sinne, als Function, Substitution u. s. w. Von besonderer Wichtigkeit sind die “ausgezeichneten” Relative, welche nur der beiden Werte 0 und 1 fähig sind; denn mit ihrer Hülfe lässt sich nicht nur jede Ungleichung in eine Gleichung, sondern auch jeder Complex von Daten in eine einzige Gleichung zusammenziehen. Die Auflösung einer solchen Gleichung (nach \(x\)) ist aber stets abhängig von der vorherigen Bildung einer durch Elimination von \(x\) zu erzielenden Resultante, der die übrigen in der Gleichung enthaltenen Buchstabenrelative genügen müssen. Gewisse Klassen solcher Auflösungsprobleme gestatten eine einfache und leichte Lösung, teils in geschlossener Form, teils in Gestalt von unendlichen convergenten Reihen. Im allgemeinen aber finden sich schon unter den in einfachster Gestalt (mit drei Buchstaben) auftretenden Problemen solche von erheblicher Schwierigkeit, an allgemeinen Methoden fehlt es überhaupt noch, und man ist bei der Behandlung der meisten Probleme noch auf Kunstgriffe und Glücksfälle angewiesen. Dabei stellt sich als eine eigentümliche Aehnlichkeit mit der Integralrechnung heraus, dass es hier “solvirende”, wie dort integrirende Factoren giebt, hier “rigorose”, wie dort particulare Lösungen, im Gegensatz zu den allgemeinen. Der Verfasser erledigt zunächst eine Gruppe von einfachen Problemen, die mit Parallelreihen-Transformation eines Relativs zusammenhängen, sodann die elementaren Inversions-(Umkehr-)Probleme, ferner die einfachsten, in zwei Buchstaben ausdrückbaren Probleme, sowie in zwei auf einander folgenden Stufen diejenigen mit drei Buchstaben. Unter diesen tritt eine Art, die der Kettenprobleme, besonders hervor. Hier ergiebt sich von selbst der Uebergang zu Dedekind’s, in der bekannten Abhandlung “Was sind und was sollen die Zahlen?” enthaltener Kettentheorie. Dieselbe wird in einer besonderen Vorlesung vorgetragen, erläutert, dem Systeme des Verfassers eingegliedert, in ihrer Darstellung verkürzt, in ihrem Geltungsbereich verallgemeinert. Sie dient gewissermassen als erstes praktisches Beispiel, den Nutzen, welcher sich aus der Algebra der Relative ziehen lässt, augenfällig darzulegen. Sodann werden die Elemente selbst als binäre Relative gedeutet, mit einer vollbesetzten Zeile oder Colonne im Determinanten-Schema, während alle anderen Zeilen oder Colonnen leer bleiben. In der vorletzten Vorlesung kommt der Verfasser auf das oben erwähnte Eliminationsproblem zurück, reproducirt in vereinfachter Gestalt eine specielle von Peirce angegebene Lösung, und fügt schliesslich die während der Drucklegung gefundene allgemeine Lösung hinzu, durch welche die Bedeutung der Summen- und Productbildungen noch mehr als bisher hervortritt, während andrerseits die bei der Durchführung dieser allgemeinen Lösung auftretenden rechnerischen Schwierigkeiten diejenigen des Peirce’schen Verfahrens erheblich übersteigen. Zum Schluss wird das Relativ \(a\) als “Abbildung” hingestellt (in einem durch Verallgemeinerung des gleichbenannten mathematischen Begriffs erhaltenen Sinne). Um diesen Zweck zu erfüllen, darf das Relativ \(a\), sowie das umgekehrte Relativ \(\check a\) nie “undeutig” (sinnlos) und nie mehrdeutig sein. Durch Combination dieser vier Bedingungen zur ersten bis vierten Klasse ergeben sich 15 verschiedene Typen von Abbildungen, darunter neun Haupttypen, von denen drei unter den Namen: Function, Argument und Substitution in der Mathematik bekannt sind und mit den mathematischen Begriffen in Uebereinstimmung gebracht werden können, sobald man das Gebiet der Zahlen als Denkbereich betrachtet. — Auch der entsprechende Abschnitt der oben genannten Dedekind’schen Schrift, betreffend die ähnliche Abbildung eines Systems in ein anderes, wird, wenigstens teilweise, zuletzt in die vorliegende Theorie eingefügt, wobei es sich um eine nicht ohne Schwierigkeiten durchzuführende Verallgemeinerung der letzteren handelt. Als Ergebnis der auf Dedekind’s Schrift bezüglichen Untersuchungen wird festgestellt, dass die 15 fundamentalen Festsetzungen der Algebra der Relative (Math. Ann. XLVI. 145) “völlig ausreichend sind, um alle Erklärungen, Sätze und Schlüsse aus dem Gedankenkreise jener Schrift — mithin die Grundbegriffe der gesamten arithmetischen Wissenschaft — in conciseste Formeln einzukleiden und mit absoluter Consequenz, exact und erschöpfend, zur Darstellung zu bringen.” Ueberblicken wir den ganzen umfangreichen und mit einer Fülle von Details ausgestatteten Bau der hier vorgetragenen Theorie, so scheint derselbe berufen, für das universale Denken ein ganz analoges methodisches Hülfsmittel zu werden, wie wir es in der Analysis für den speciellen Bereich des geometrischen Denkens besitzen. Dieser Analogie entspricht es, wenn die Analysis selbst als specieller Fall der “Algebra der Logik” erscheint, nämlich unter Voraussetzung eines aus Zahlen gebildeten Denkbereichs. Unsere bisherige Logik erscheint unter diesem Gesichtspunkte nur als Analogon zu der propädeutischen geometrischen Anschauungslehre. Misst man den Kreis der gewohnten Gesetze unseres (auf die verschiedenartigsten Dinge gerichteten) Denkens mit dem Massstabe, welchen uns die Algebra der Logik an die Hand giebt, so hat man den Eindruck, dass diese gewohnten Gesetze nur einen sehr kleinen Bruchteil eines reichen Vorrates bilden, in welchen empirisch einzudringen einerseits keine praktische Nötigung vorliegt, weil es eben nur die einfachen, nicht die complicirteren Formen sind, in denen unser Denken sich zu bewegen pflegt, während andrerseits dieser Vorrat systematisch auch nur auf mathematischem Wege erschlossen werden kann. Trotzdem werden als Folge von Uebung, je nach dem Grade der geistigen Fähigkeit des Individuums, auch complicirte Denkoperationen unbewusst ausgeführt, ohne dass der Denkende diese Operationen in ihre Bestandteile zu zerlegen im Stande wäre. Diese Denkoperationen systematisch aufzubauen, ist Aufgabe der “Algebra der Logik”, und da wir bei den wichtigsten Grundoperationen unseres Denkens, dem Zusammenfassen, Sondern und Vergleichen, stets aus der Menge der gegebenen Objecte nur zwei auf einmal herauszugreifen pflegen, so ist auch, wenigstens für das allgemeine Denken, die Algebra der “binären” Relative wichtiger, als jede Erweiterung dieser Disciplin. Von selbst ergiebt sich hieraus, dass die Zeichen- und Formelsprache derselben dasjenige Gepräge tragen muss, welches der von Leibniz geforderten “Pasigraphie” entspricht, wenigstens insofern, als dieselbe für das ganze Gebiet der “Beziehungen” von Begriffen auf einander exacte Ausdrücke bietet. Die Darstellung des Werkes giebt in ihrer Lebendigkeit und subjectiven Färbung ein getreues Bild der Schaffensfreudigkeit des für seinen Stoff begeisterten Autors, der uns in seine Gedankenwerkstatt einführt und, wie es die Entstehung des Werkes, begleitet von der Drucklegung, mit sich brachte, uns an verschiedenen neuen Entdeckungen unmittelbar teilnehmen lässt. Dass die erste Erforschung eines vielfach so neuen Gebietes der Wissenschaft, wie wir es hier vor uns haben, noch keine allseitig befriedigende Darstellung ermöglicht, ist ja selbstverständlich. Wir möchten daher auch nur beiläufig bemerken, dass uns für eine spätere Darstellung derselben Wissenschaft, möge sie kommen, von wem sie wolle, zunächst eine nur die Hauptsachen umfassende, mit einfachen Beispielen aus den gewohnten Denkbereichen möglichst vollständig ausgestattete, knappe Darlegung ihrer Lehren wünschenswert erscheint, zur ersten Einführung in den Gegenstand und um schon dem Anfänger von den grossen Vorteilen einen Begriff zu geben, welche aus dieser Behandlung der Logik für die Sprachwissenschaft und für die Schärfung des Denkens hervorgehen. Dies wird natürlich erst dann möglich sein, wenn das bedeutsame Werk seinem Ende zugeführt und dadurch ein Ueberblick über das Ganze gewonnen sein wird. Reviewer: Schlegel, Prof. (Hagen) Cited in 9 ReviewsCited in 30 Documents MathOverflow Questions: Who first discovered the concept corresponding to the symbol of class comprehension? JFM Section:Erster Abschnitt. Geschichte und Philosophie. Capitel 2. Philosophie und Pädagogik. A. Philosophie. Citations:JFM 26.0074.02; JFM 26.0074.01; JFM 22.0073.02 PDFBibTeX XML