×

Über die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit periodischen Koeffizienten. (German) JFM 44.0375.02

Es handelt sich um die reelle Differentialgleichung \[ \ddot x + M(t)x = 0, \] wo \(M\) periodisch ist: \(M(t + 2\pi) = M(t)\). Es gibt einen stabilen Typus, wie man seit den klassischen Untersuchungen von Hermite und Floquet weiß (Ann. de l’Éc. Norm. 1883/4). Beide Typen unterscheiden sich durch das Vorzeichen der Diskriminante einer algebraischen Gleichung. Diese Gleichung herzustellen hat man bis jetzt zwei Methoden: entweder entwickelt man irgend zwei Integrale in Potenzreihen nach \(t\), die aber im ganzen Intervall von \(t = 0\) bis \(t = 2\pi\) so gut konvergieren müssen, daß man das Vorzeichen einer gewissen Zahl sicher feststellen kann; dieses Verfahren ist mühsam, wenn nicht manchmal fast ungangbar. Oder man entwickelt nach einem geeigneten Parameter, sodaß man eine beständig konvergente Potenzreihe erhält; aber es treten bei ihr Glieder scheinbar säkularen Charakters auf, die in Wahrheit doch nur der schwer erkennbare Anfang der Potenzentwicklung einer periodischen Funktion sind. Verf. gibt eine neue Methode durch Hinzuziehung einer linearen Differentialgleichung dritter Ordnung, der “lösenden Differentialgleichung”, deren Vorzug darin besteht, daß sie stets ein rein periodisches Integral besitzt; dieses kann man leicht durch eine Fouriersche Reihe herstellen. Der Typus wird dann durch das Vorzeichen einer Konstante bestimmt. Die Berechnung der Integrale der ursprünglichen Gleichung verlangt darauf nur noch eine Quadratur; scheinbar säkulare Glieder treten bei dem ganzen Prozeß nicht auf: man arbeitet beständig mit konvergenten Fourier-Reihen (§§1–4).
Um das periodische Integral der lösenden Differentialgleichung dritter Ordnung \(\dddot z+4M\ddot z+ 2M\dot z = 0\) zu finden, fügt Verf. zu \(M\) einen multiplikativen Faktor \(\lambda\), nach dem er entwickelt. Die Herstellung dieser Reihe für hinreichend kleine \(\lambda\), ist leicht; man kann aber durch geeignete Wahl der noch freigebliebenen multiplikativen Konstante für \(z\) als Funktion von \(\lambda\) eine beständig konvergente Potenzreihe in \(\lambda\) erhalten. Dazu bedarf es im allgemeinen der Bestimmung derjenigen ganzen transzendenten Funktion von \(\lambda\), deren Nullstellen die Eigenwerte einer linearen Integralgleichung sind; doch gibt Verf. in den §§8, 9 für das einfache, aber wichtige Beispiel \(M = a+b\cos t\) ein ganz einfaches Verfahren nebst Konvergenzbeweis (§§5-10). Liegt der instabile Typus vor, so kann doch noch “stabilite à la Poisson” herrschen, d. h. die Integrale können unendlich viele Nullstellen haben; wenn nicht, so besitzen die in bestimmter Weise normierten Integrale gar keine Nullstellen (beliebige Integrale höchstens eine). Als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Eintreten des zweiten Falles gab kürzlich Levi-Cività (Ann. de l’Éc. Norm. (3) 28, 325-376; F. d. M. 42, 1007 (JFM 42.1007.*), 1911) an, daß der Integralmittelwert von \(M\) negativ sein muß. Verf. gibt die notwendigen und hinreichenden Bedingungen (§11).
Diese Untersuchung führt den Verf. dazu, jetzt zu \(M\) einen additiven Parameter \(\lambda\) hinzuzufügen. Er beweist: die Anzahl der Nullstellen wächst mit \(\lambda\). Man weiß schon, daß es unendlich viele, sich nur gegen unendlich häufende Eigenwerte \(\lambda\), gibt, für welche periodische Lösungen existieren (Bôcher, Mason und Tzitzeica, C. R. 140, 1905). Diese Eigenwerte \(\lambda\) können einfach oder doppelt zählen: je nachdem ist nur ein Integral oder aber sind beide ganz oder halb periodisch (\(M(t)\) heißt für das Intervall 0 bis \(2\pi\) halbperiodisch, wenn \(M(t + 2\pi) = -M(t)\) ist). Die einfach zählenden Eigenwerte teilen das Intervall \(\lambda =-\infty\) bis \(+\infty\) in Teile, in denen abwechselnd der stabile und der instabile Typus herrscht. Es gibt ein kleinstes \(\lambda =\lambda_0\) unterhalb dessen der Typus instabil ist und keine Nullstellen (bei den normierten Integralen) vorhanden sind. Oberhalb \(\lambda_0\) gibt es stets unendlich viele Nullstellen. Die doppelten Eigenwerte   fallen stets in ein Intervall von stabilem Typus. Es kann bei hinreichend regulärem \(M\) kein unendlicher Wechsel der Intervalle von stabilem und instabilem Typus vorkommen: für hinreichend große \(\lambda\) ist der Typus sicher stabil. Doch gilt dieser Satz nicht immer, wie an einem Beispiel gezeigt wird, wenn \(M\) eine Unstetigkeitsstelle hat. Endlich gibt Verf. eine asymptotische Darstellung für \(\lambda =\infty\), wodurch die Untersuchungen Weyls (Math. Ann. 68, 1911) eine Ergänzung finden; auch zeigt Verf. unter Ausdehnung eines Satzes von Liouville, daß \(2\sqrt{\lambda}\) der asymptotische Wert für die Zahl der Nullstellen ist (§§12-16). Den Schluß bilden, außer einer Bemerkung über die lineare Differentialgleichung mit zweitem Glied, Beispiele, die einige Möglichkeiten erweisen sollen.
Die Anregung zu dieser mathematischen Untersuchung verdankt Verf. einem Schaukunststück: Ein Artist steht aufeiner Kugel und trägt eine Stange vertikal, an der sich ein zweiter Artist produziert. Der Augenschein lehrt deutlich, daß der untere Artist das ganze System dadurch stabilisiert, daß er die Beine und dadurch auch die Kugel in kleine, aber schnelle Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen erfolgen ganz “mechanisch” und unterscheiden sich dadurch wesentlich von den Bewegungen einer Hand, die einen Stab balanziert und ihm nachgehen muß. Es handelt sich um wirkliche Stabilität, und deren Möglichkeit wird durch die Theorie des Verf. erwiesen. .

Citations:

JFM 42.1007.*
PDFBibTeX XMLCite
Full Text: DOI EuDML