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Studien über die Reduction der Potentialgleichung auf gewöhnliche Differentialgleichungen. (German) JFM 25.0831.01

Berlin. G. Reimer. 180 S. \(8^\circ\) (1893).
Der grösste Teil des Buches, das sich als einen Anhang zu Heine’s Handbuch der Kugelfunctionen bezeichnet, enthält eine ausführlichere Behandlung von Problemen, die der Verfasser bereits früher studirt hatte (vgl. F d. M. XV. 1883. 311, JFM 15.0311.01; XVIII. 1886. 430 ff., JFM 18.0430.02; JFM 18.0432.01, XXI. 1889. 521, JFM 21.0521.02). Den Ausgangspunkt bildet (Cap. I) die Frage nach der Reduction der Gleichung \[ \Delta V = \frac{\partial^2V}{\partial x^2} + \frac{\partial^2V}{\partial y^2} + \frac{\partial^2V}{\partial z^2} = 0 \] auf gewöhnliche Differentialgleichungen für den Fall von Rotationskörpern, eine Frage, die nach dem Vorgange des Referenten (vgl. F. d. M. X. 1878. 663, JFM 10.0663.03) ihre Beantwortung findet. Eine genauere Discussion des Resultats führt zu einer wesentlichen Erweiterung der vom Referenten aufgestellten Sätze, insofern gezeigt wird, dass die Zahl der Rotationskörper, für welche die Reduction der Potentialgleichung möglich ist, nicht eine beschränkte, sondern eine unbegrenzte ist (Cap. II). In Sonderheit treten neben Rotationskörpern vierter auch solche achter, ja zweiundreissigster Ordnung auf. Zugleich ergiebt (sich, dass die Bestimmung der Meridiancurven der gesuchten Rotationskörper identisch ist mit der von Herrn H. A. Schwarz gelösten Aufgabe, alle ebenen algebraischen Isothermen-Curven zu bestimmen (cf. F. d. M. VI. 1874. 249, JFM 06.0249.04).
Die in Rede stehende Reduction der Potentialgleichung führt auf zwei Typen von gewöhnlichen Differentialgleichungen: \[ \begin{aligned} (\text{I})\quad\quad \frac{d^2y}{du^2} &= \left\{\alpha[\wp(u) - e_\lambda] - h^2\right\}y,\\ (\text{II})\quad\quad\frac{d^2y}{du^2} &= \left\{\alpha\frac{(e_\lambda-e_\mu)(e_\lambda-e_\nu)}{\wp(u) - e_\lambda} - h^2\right\}y,\end{aligned}\qquad (\lambda,\mu,\nu = 1,2,3) \] in denen \(\wp(u)\) die Weierstrass’sche Function bezeichnet, während \(\alpha=m^2-\frac14\) ist, unter \(m\) eine beliebige ganze Zahl verstanden. Statt \(\alpha\) diesen speciellen Wert beizulegen, empfiehlt es sich, obige Gleichungen für beliebige \(\alpha\) zu untersuchen. In dieser Verallgemeinerung werden die Gleichungen (I) und (II) als die “doppeltperiodischen Normalformen der Lamé’schen Functionen zweiter Ordnung” bezeichnet. Auf diese Typen lassen sich nämlich alle Untersuchungen über Lamé’sche Functionen zweiter Ordnung zurückführen; nur die Functionen des elliptischen und parabolischen Cylinders bilden eine Ausnahme. Der Verfasser giebt an, welche Aufgaben er sich in Bezug auf die Gleichungen (I) und (II) gestellt hat. Doch hat er dieselben noch nicht vollständig erledigt und beschränkt sich daher in dem vorliegenden Buche (Cap. III) auf die Ermittelung einiger allgemeinen Eigenschaften der Integrale jener Gleichungen, sowie des Zusammenhanges dieser Integrale mit speciellen Functionen. Von den Resultaten des Verfassers führen wir folgende an: Unter den verschiedenen Gattungen von Functionen, die jeder der beiden obigen Typen darstellt, fallen zwei besonders auf, nämlich die, für welche \(\alpha=n(n+1)\), und die, für welche \(\alpha=m^2-\frac14\) ist, falls \(n\) eine ganze Zahl bezeichnet. Der Verfasser bezeichnet die ersteren als Lamé-Hermite’sche, die anderen als Lamé-Wangerin’sche Functionen. Für die letztgenannten wird das allgemeine Integral von (I) an der Stelle \(u=0\) logarithmisch unendlich, für die erstgenannten ist die Stelle \(u=C\) ausserwesentlich singulär. Ordnet man diesen beiden Functionsklassen des Typus (I) gewisse Functionen \(z\) durch die Gleichungen \[ y = z\varrho^\frac14,\qquad \frac1{\varrho} = \wp(u) - e_\lambda \] zu, so erhält man eine Klasse von Riemann’schen \(P\)-Functionen mit vier singulären Stellen von der Eigenschaft, das eine Mal an der Grenze in Laplace’sche Functionen zweiter Ordnung überzugehen, deren unterer Index die Hälfte einer ganzen (ungeraden oder geraden) Zahl ist; und diese Functionen selbst wieder entarten durch gewisse weitere Grenzbetrachtungen in Bessel’sche Functionen, deren Index die Hälfte einer ganzen Zahl ist. Bei anderem Grenzübergang dagegen stellen dieselben \(z\) gewisse Riemann’sche \(P\)-Functionen mit drei singulären Stellen dar. — Ordnet man den Functionen \(y\) des zweiten Typus unter der Annahme \(\alpha=n(n+1)\) oder \(\alpha=m^2-\frac14\) gewisse Functionen \(\varphi\) durch die Gleichungen \[ y = \varphi x^\frac14,\qquad x = \wp(u) - e_\lambda \] zu, so erhält man eine Klasse von Riemann’schen \(P\)-Functionen mit vier singulären Stellen, die das eine Mal geschlossene einfach periodische Functionen als Grenzfälle enthalten, bei einem anderen Grenzübergang aber in specielle Riemann’sche \(P\)-Functionen mit drei singulären Stellen übergehen.
Weiter werden (Cap. IV) gewisse Verallgemeinerungen der bisher betrachteten Functionen untersucht. Mit Heine wird als Lamé’sche Function \((s-1)^{\text{ter}}\) Ordnung das vollständige Integral der Differentialgleichung \[ \varphi(x)\frac{d^2y}{dx^2} + \frac12\varphi'(x)\frac{dy}{dx} + \psi(x)y = 0\tag{III} \] bezeichnet, wo \(\varphi(x)\) und \(\psi(x)\) ganze rationale Functionen vom Grade \(s\), resp. \(s-2\) ohne gemeinsamen Teiler sind. Doch lässt der Verfasser die Heine’sche Voraussetzung, dass das erste particuläre Integral von (III) eine algebraische Function ist, fallen. Es wird, in Verallgemeinerung einer Untersuchung von Brioschi, gefragt: Wann ist das Product \(v\) der beiden particulären Integrale von (III) oder eine Potenz desselben \(v^r\) eine ganze rationale Function? Es ergiebt sich, dass, wenn alles allgemein bleibt, \(r\) nur \(=1\) oder \(=2\) sein darf. Sobald jedoch \(\varphi(x)\) einen quadratischen Factor besitzt, kann \(r\) jeden Wert annehmen. Der Fall \(r=1\) führt auf die verallgemeinerten Lamé-Hermite’schen, der Fall \(r=2\) auf die verallgemeinerten Lame’-Wangerin’schen Functionen, während für den Fall, dass \(\varphi\) einen quadratischen Factor hat und zugleich \(r=1\) ist, sich die verallgemeinerten Laplace’schen Functionen ergeben. Es wird noch das Verhalten der verschiedenen Functionen in der Umgebung der singulären Stellen erörtert und dann gezeigt, dass die Gauss’sche hypergeometrische Reihe, die Riemann’schen \(P\)-Functionen mit drei singulären Stellen und die Heine’schen Kugelfunctionen höherer Ordnung sämtlich durch Laplace’sche Functionen dritter Ordnung darstellbar sind, d. h. durch solche, welche der Differentialgleichung (III) für \(\varphi=4x^2(1-x)^2\) genügen.
In Cap. V werden die Functionen des elliptischen und des Kreiscylinders studirt. Erstere genügen, wie der Verf. früher gezeigt hatte (cf. F. d. M. XXI. 1889. 521, JFM 21.0521.02) der Gleichung \[ \frac{d^2z}{dw^2} = \left[h^2\left(\frac{\beta e^{miw}-\alpha e^{-miw}}{2mi}\right)^2 - \nu^2\right]z.\tag{IV} \] Statt der in der erwähnten Arbeit benutzten Reihen wird hier die Entwickelung von \(z\) nach Potenzen von \(u=e^{miw}\) untersucht. Dabei ergeben sich zwei Fundamentalsysteme (also vier particuläre Lösungen) von irregulären Integralen, die nicht geeignet sind, die Function in der Umgebung der singulären Stelle darzustellen. Nur bei Erfüllung einer gewissen Bedingung gehen die irregulären Integrale in Normalintegrale über, und dadurch ergiebt sich das von Herrn Bruns abgeleitete Fundamentalsystem. Nach der Meinung des Verfassers soll bei Bruns der Sachverhalt nicht richtig dargestellt sein; auch lasse sich die Bruns’sche recht complicirte Bestimmung der Coefficienten der Reihe durch eine einfachere ersetzen. Völlig kann übrigens das Resultat der vorliegenden Untersuchung nicht befriedigen, wie der Verf. selbst zugiebt. — Die Anwendung der gefundenen Reihen auf den Specialfall, wo der elliptische Cylinder in einen Kreiscylinder übergeht, führt auf die bekannten semiconvergenten Reihen für die Bessel’schen Functionen: damit sind die letztgenannten Reihen direct aus der Differentialgleichung abgeleitet. Es folgt die Untersuchung des Verhaltens der Cylinderfunctionen höherer Ordnung in der Umgebung der singulären Punkte, endlich der Zusammenhang der Functionen des elliptischen Cylinders mit den Cyklidenfunctionen, d. h. den Lösungen der Differentialgleichung, auf welche die Potentialaufgaben für Cykliden führen (vgl. die Arbeit des Referenten im Journ. für Math. LXXXII, F. d. M. VIII. 1876. 623, JFM 08.0623.01; JFM 08.0623.02); dabei wird erörtert, weshalb Hermite’s Integrationsmethode nicht aufdie Gleichung (IV) anwendbar ist.
Das Schlusscapitel (VI) ist der Heine’schen Function und der aus ihr abgeleiteten hyperbesselschen Transcendente gewidmet, beides Bezeichnungen, die hier zum ersten Male eingeführt werden. Die Heine’sche Function ist definirt durch die Gleichung \(y=v\sqrt{\frac{\sin(\varepsilon u)}{\varepsilon}}\), wo \(v\) der Gleichung \[ \frac{d^2v}{du^2} = \left\{\frac{(n^2-\frac14)\varepsilon^2}{\sin^2(\varepsilon u)} + \frac{\lambda^2\alpha^2}{\varepsilon^2}\sin^2(\varepsilon u) - \mu^2\right\}v\tag{V} \] genügt. Man gelangt auf dieselbe, wenn man die Gleichung der Wärmeleitung \[ \frac{\partial V}{\partial t} = a^2\Delta V \] in ähnlicher Weise wie oben die Gleichung \(\Delta V=0\) auf gewöhnliche Differentialgleichungen reducirt, eine Reduction, die nur für solche Rotationskörper möglich ist, welche von Flächen zweiter Ordnung begrenzt werden. In Gleichung (V) ist \(n\) im allgemeinen eine ganze Zahl; für \(n=\frac12\) ist \(v\) die Function des elliptischen Cylinders, für \(\lambda=0\) ergeben sich Kugelfunctionen mit ganzzahligen unteren, aber beliebigen oberen Indices. Ist ausserdem \(\varepsilon=0\), so erhält man die Fourier-Bessel’sche Transcendente. Die nähere Betrachtung, resp. Umformung der Gleichung (V) ergiebt, dass die Heine’sche Function \(y\) eine Cylinderfunction dritter Ordnung ist. Neben der Function \(v\) ist die Function \(\varphi=v\sqrt{\frac{\varepsilon}{\sin(\varepsilon u)}}\) von Wichtigkeit, die für \(\varepsilon=0\) in die “hyperbesselsche Transcendente” übergeht. Diese Bezeichnung ist gewählt, weil von dieser Function mehrfache Uebergänge zu den Bessel’schen Functionen führen.
Der grösste Teil des letzten Capitels ist der Frage nach dem analytischen Charakter der Heine’schen Function gewidmet. Es wird zunächst ihr Verhalten in der Nähe der singulären Stellen erörtert, sodann untersucht, welche Bedingungen die Constanten von (V) erfüllen müssen, damit \(v\) in geschlossener Form darstellbar ist; und für den Fall der Möglichkeit einer solchen Darstellung werden die geschlossenen Normalintegrale ermittelt. Weiter werden die Resultate auf den speciellen Fall der hyperbesselschen und den noch specielleren der Bessel’schen Transcendente angewandt. Endlich folgt die Reihenentwickelung der Heine’schen Function; insbesondere werden die irregulären Reihen in der Nähe der Stelle der Unbestimmtheit eingehender untersucht.
Dies der wesentliche Inhalt des Buches, das zwar nirgends eine abgeschlossene Darstellung der behandelten Functionen giebt, aber hinsichtlich gewisser Eigenschaften dieser Functionen sowie ihres functionentheoretischen Zusammenhangs viele neue Resultate enthält.

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